Liam Gallagher mit Unplugged-Album und Seitenhieb gegen Bruder Noel

Nicht viele Künstler kommen in den Genuss, ein MTV Unplugged-Konzert zu spielen und somit legendären Künstlern wie Paul McCartney, Eric Clapton, Nirvana, Bryan Adams oder Alanis Morissette zu folgen. Selbstredend, dass nur die wenigsten von ihnen die Ehre haben, gleich zweimal „ungestöpselt“ aufzutreten.

Liam Gallagher gehört zu dieser Ausnahme. Quasi. Denn damals, 1996, hatte er schon einmal die Gelegenheit für ein akustisches Set ganz ohne elektronischen Firlefanz, nämlich mit seiner und Bruder Noels Band Oasis. Die einstigen Britrock-Überflieger waren seinerzeit gerade dabei, die Welt zu erobern. Ihr Erstlingswerk „Definitely Maybe“ war das bis dato am schnellsten verkaufte Debütalbum einer Band (später abgelöst durch das Debüt der Arctic Monkeys). Mit dem Nachfolger „What‘s The Story Morning Glory“ konnten sie den immensen Erfolg nicht nur wiederholen, sondern sogar toppen. Keine Frage – ein Unplugged-Konzert war zu jener Zeit der folgerichtige Ritterschlag für Oasis, oder um es in der Sprache der Gallaghers zu sagen: die Schaumkrone auf ihrem Bier. Nur konnte Liam selbst dazu kaum einen Beitrag leisten. Wenige Augenblicke vor dem Auftritt war er (angeblich) krank geworden. Laut eigener Aussage hatte er Halsschmerzen und sah sich lediglich imstande, vom Balkon der Londoner Royal Festival Hall, seinen Bruder, der unten auf der Bühne mit den Bandkollegen das gesamte Konzert kurzfristig alleine bestreiten musste, anzupöbeln. Soweit, so imagepflegend …

Oasis war gestern

Diesmal jedoch, im August 2019, sollte alles anders werden. Oasis sind längst Geschichte, die beiden Brüder aka Streithähne gehen seit Jahren ihre eigenen Wege. Seit der Veröffentlichung von nunmehr drei Studioalben experimentiert Noel von einer EP zur anderen munter vor sich hin.

Liam unternahm indessen mit seiner neuen Band Beady Eye einen kurzlebigen Versuch, musikalisch auf eigenen Beinen zu stehen. Das mag ihm in seiner Heimat einigermaßen geglückt sein, doch über die Ufer Englands hinaus nahm kaum jemand Notiz von Liams Gehversuchen. Mit der Veröffentlichung seines ersten Soloalbums „As You Were“ im Jahre 2017 sah das schon anders aus. Getragen von den Single-Hits „Wall Of Glass“, „Chinatown“ und „For What It‘s Worth“ wurde der Longplayer zu einem beachtlichen Erfolg, der sich nicht nur in Europa, sondern auch in den USA recht passabel verkaufte. Doch darauf wollte Liam sich nicht ausruhen und veröffentlichte kaum zwei Jahre später seine nächste Soloplatte „Why Me? Why Not.“ – und damit das zweite Nummer 1-Album. Mit dem am 12. Juni veröffentlichten MTV Unplugged-Konzert gelingt dem bekennenden Manchester United-Fan nun der Hattrick in den britischen Charts.

Großes Bühnenaufgebot

Das verwundert nicht sonderlich, wenn man sich die Setlist des Abends ansieht: Von den zehn gespielten Liedern stammt mit „Some Might Say“, „Stand By Me“, „Cast No Shadow“, „Sad Song“ und „Champagne Supernova“ immerhin die Hälfte aus der Oasis-Ära. Dementsprechend konsequent, dass bei jenen Songs der einstige Oasis-Gitarrist Paul Arthurs alias Bonehead zum Sechssaiter greift und Liam begleitet. Der Rest des Sets besteht aus gut ausgewählten Stücken von Liams beiden Soloplatten.

Dass die Nummern hervorragend im Unplugged-Gewand funktionieren, liegt zum einen an Liams starker und unverwechselbarer Stimme. Zum anderen an dem 21-köpfigen(!) Urban Soul String Orchestra sowie den drei Background-Sängerinnen, die den Liedern eine ganz neue Note geben und Songs wie „Gone“ und „Now That I‘ve Found You“ zu wahren Live-Erlebnissen für die 1200 Konzertbesucher und nun auch die Plattenkäufer machen. Liam fühlt sich sichtlich wohl auf der Bühne der Hull City Hall.

Diese Location ist im Übrigen nicht zufällig gewählt. Brachte Bruder Noel unlängst seine Abneigung gegenüber der im Nordosten Englands gelegenen Stadt mit der Bezeichnung „Shithole“ zum Ausdruck, hat Liam eine ganz andere Meinung. „Es ist toll, hier in Hull zu sein“, so eine seiner Ansagen während der Live-Performance.

Liam – soviel wird spätestens mit diesem Unlugged-Album klar – ist es endgültig gelungen, aus dem Schatten des großen Bruders herauszutreten und auf dessen Provokationen durchaus clever zu reagieren. Und seine Songs müssen sich wahrlich nicht hinter den Oasis-Hymnen verstecken.

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