„Keine Blumen“, nein, weder ein üppiges Bouquet noch ein frisch gepflückter Wildblumenstrauß, kein einziges Blütenblatt, kein mickriger Stängel. Oehl ist mit einem neuen Projekt zurück und hat sich dafür auch eine neue Prämisse gesetzt: Kein Schnickschnack, kein großes Brimborium, na ja eben keine Blumen. Das klingt vom Konzept erst mal nach einem viel rustikaleren Stil, als man das bisher gewohnt ist. Doch keine Sorge, stilistisch erzählt auch dieses Album eine ganz ähnliche Geschichte. Die warme Detailliebe für melodiöse Spielereien ist eben in der DNA von Oehl und ist dort glücklicherweise auch nicht wegzukriegen.
Oehl ft. Mola – Satt werden
Allerdings ist das Album in jedem Fall weniger hittig, weniger groß, weniger aufmüpfig als „Über Nacht“. Wo unter der Leichtigkeit sonst nur ein Schleier der Melancholie hervor glimmte, stehen Trauer und Wehmut jetzt mitten im Raum. Eröffnet wird das Album mit gleich zwei Liedern über Tränen und das ist Programm, so viel vorweg. Egal, wie fröhlich der Upbeat im Hintergrund versucht, das Bild zu trügen: „Keine Blumen“ geht an die Substanz.
Gehen wir doch mal ins Detail und schauen genau auf diese unverblümte Version von Oehl. Während man unter dem Namen bislang ein Duo kannte, ist das neue Album nur um Ariel Oehl gesponnen, ein Soloprojekt. Vielleicht liegt es daran, dass das Album deutlich monothematischer wirkt. Obwohl alle großen gesellschaftlichen Themen angerissen werden, von toxischer Männlichkeit zu Mental Health und Debattenkultur, wirkt es eben aus einem Guss. Ariel scheint sich jeden einzelnen Zeitgeist unter dem Licht der Sterblichkeit noch einmal angeschaut zu haben und wird dennoch nicht nihilistisch, sondern behandelt jeden Mikrokosmos mit nüchterner Ernsthaftigkeit.
Das Album ist also essenziell in jeder seiner Fasern und bringt trotzdem eine musikalische Leichtigkeit mit sich. Die Songs wirken alle zusammen, fast wie ein manisches Selbstgespräch des Musikers. Geht die Welt unter? Ist sie eigentlich schön oder ist es gerade die Hässlichkeit, die Schönheit ausmacht? Was macht das Leben lebenswert? Ist ‚gehen’ ein fulminanter Abschied oder ein Weiterziehen? Antworten gibt es nicht auf all diese Fragen und von Song zu Song verändern sich die Gedanken Ariels zu all diesen Fragen. Nichts ist in Stein gemeißelt oder ultimativ, jede Zeile nichts weiter als ein Gedanken zu etwas, was letztlich doch zu groß und komplex ist, um es gänzlich zu begreifen; geschweige denn greifbar zu machen. Genau dieser wandelnde Kontext gibt jeder Zeile eine neue Dimension von Ehrlichkeit: Hier werden keine neuen Wahrheiten gesponnen. Welten-Pessimismus ist einfach nur Sorge, Rassismusdebatten werden nicht zu Parolen, sondern sind tiefe Bestürzung.
Oehl – Ruh
Doch was heißt denn nun unverblümt, wenn es weiterhin so verspielt und detailverliebt klingt, wie man es von Oehl kennt? Was heißt unverblümt, wenn auch sich auch auf diesem Album ganz unironische, kitschige Zuckerwatte-Zeilen untermischen? Es muss an der Haltung liegen, denn niemand sonst ganz so zaghaft und so gebrochen diese Zeilen singen:
„Bitte, gib mir mein Herz zurück,
Oehl – Weitergehen
ich habe lieber einen Stein,
als so ein Loch in meiner Brust,
und wenn du schon kommst,
nimm auch den Schmerz.“
Es ist verrückt, wie einfach es ist, bei Oehl ehrlich berührt zu sein, noch dazu von Worten, die eigentlich schon von allen poetischen Strömungen durchgespielt wurden. Was sonst aufgesetzt und pathetisch wirkt, verwandelt Ariel Oehl in eine ehrliche Empfindung. Da regt sich etwas, etwas was sich nur aus dieser Mischung der stumpfen alten Metaphern, der fast erschöpften Stimme Ariels und der Bubblegumbeats, die leichte Raggeaton-Rhythmen in die Melancholie mischen.
Oehl schreiben unaufgereagt und aufrichtig
Hinter dem Titel(Song) „Keine Blumen“ steht eine berührende Geschichte des Verlusts. Ein Familienmitglied bittet an den letzten Tagen darum, keine Blumen mehr zu bringen – es lohne nicht. Alles daran ist doll, alles daran ist intensiv und allumfassend. So sind es eben nicht die dicken Tränen oder eine große Abschiedsansprache, bevor der Held auf die Knie fällt und mit letzter Kraft seine Liebe bekundet. In einem Satz, einer kleinen Anmerkung manifestiert sich die Endgültigkeit des Todes: Ich geh, du bleibst und alles, was du mir zum Abschied bringst, bleibt auch. Es ist der letzte Song des Albums und jedes vorangeschickte Wort löst sich in diesem simplen Kommentar auf. Dass der Song so ruhig ist, die große erschütternde Geste ausbleibt, macht einen schier wahnsinnig. Es ist der dritte Akt, doch es ist nicht der dramaturgisch aufgebauschte Höhepunkt mit bebenden Pauken: Es ist erschütternd in seiner Einfachheit. Und dann ist es vorbei.