Da ist es nun: Das Debüt-Album der Norwegerin girl in red. In den vergangenen zwei Jahren hat sie nicht nur im hohen Norden, sondern auch schon in Deutschland die Klubs gefüllt und Teenager an den Rand des Wahnsinns gebracht. Sie ist laut, lässig, verwundbar, queer und talentiert – kein Wunder also, dass sie sich schon mit einer Handvoll Songs einige Vorschusslorbeeren verdient hat. Während sie aber ihre EPs im absoluten Alleingang aus ihrem Kinderzimmer auf die Menschen losließ, hat sie dieses Album mit einem talentierten Team und im professionellen Studio aufgenommen. Darunter auch Finneas, der Bruder und Songwriter von Shootingstar Billie Eilish. Hören kann man das neue Team aber nicht. Und so soll es auch sein, war es doch diese schmerzvolle Intimität, mit der girl in red alle überzeugte. Auf “If I Could Make It Go Quiet” gibt es nur wenige Titel, die bereits bekannt waren, und auch der Sound ist noch ein wenig üppiger geworden. Doch wie der Titel schon ankündigt, zeigt sich girl in red offen wie immer und findet genau die Worte, die sowohl nach irrationalem Teenie-Schmerz klingen und trotzdem das Potenzial haben, Erwachsene zu berühren.
girl in red zeigt auf “Serotonin” neue Seiten
Im Zentrum stehen nicht nur große Indentitäts-Fragen und Liebeskummer, sondern vor allem ihre psychischen Probleme. Auch auf den sozialen Netzwerken geht die Musikerin mit Depressionen und Angststörungen offen um. Mal kommt sie wochenlang nicht vor die Tür, in anderen Lebensphasen macht ihr die Unbeständigkeit, die das Touren mit sich bringt, zu schaffen. Wer also einen glattgebügelten Popstar erwartet, der ist hier an der falschen Adresse. Denn all das findet auch Einzug in ihre Songs. Das muss nicht automatisch traurig klingen, sondern verfehlt auch mit starken Gitarrenriffs nicht seine Wirkung. So auf dem Opener “Serotonin”:
„I’m running low on serotonin
girl in red – Serotonin
Chemical imbalance got me twisting things
Stabilize with medicine
There’s no depth to these feelings
Dig deep, can’t hide
From the corners of my mind
I’m terrified of what’s inside“
Während die Musikerin auf diesem Song mit Rap liebäugelt, vereint sie auf anderen Titeln wie gewohnt Pop- und Indie-Elemente. Mit Charme und Attitüde singt sie zum Beispiel über die akzentuierten Rhythmen von “Body And Mind”. Die Single offenbart ebenso tiefe Krisen, wie es der kraftvolle, düstere Sound vermuten lässt. Doch “If I Could Make It Go Quiet” offenbart nicht nur das innerliche Chaos, sondern auch die zarten Seiten von girl in red. Da ist zum Beispiel ein herzzerreißender Lovesong, der genau die Portion Ehrlichkeit hat, für die man diese junge Sängerin einfach bewundern muss. “hornylovesickmess” ist so ironisch, so offen und so schnörkellos. Im Kontrast zu dieser Unverblümtheit steht das instrumentale, satte Ende des Songs, das sich in Ambientsounds verliert.
Rue – der Song auf dem alles zusammen fließt
Das Album ist gleichzeitig ein einziges großes Gefühl und trotzdem unheimlich facettenreich. Die vielen Türen, die girl in red durch ihre impulsiven Bedroom-Singles aufgemacht hat, scheinen alle auf “If I Could Make It Go Quiet” zusammen zu führen. Die Titel laufen aufeinander zu, erlauben sich ebenso kitschige Fragmente wie auch artistisches Wabern und langsame Spiralen in den Strudeln der Gedanken. Zu den Höhepunkten, die alles vereinen, gehört definitiv “Rue”. Fast akustisch startet die Norwegerin in den Song, der sich dann in einen fantastischen Refrain öffnet. Selten waren Depressionen so eingängig und catchy, wie in diesem Teil, dem immer mehr Elemente hinzugefügt werden. Doch genau dieser Opulenz setzt sie einen zarten, zerbrechlichen Gesang entgegen. Wir hören ein flehendes Flüstern bevor der Song wieder über einen hereinbricht. Gänsehaut!
„Yeah, I tried
girl in red – Rue
to get it off my mind
to leave it all behind
Don’t wanna make it wore,
I gonna make it work“
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