Seit zehn Jahren präsentieren wir bei TV Noir Musiker, die mit Leidenschaft auf der Bühne stehen. Jetzt haben wir uns mit dem Brausehersteller fritz-kola zusammengetan, um solchen “Wachen Menschen” im TV Noir Podcast noch viel mehr Raum für ihre Gedanken, Aussagen und Gefühle zu geben. Jede Woche treffen wir einen Gast, der mit einem unbändigen, inneren Antrieb das Leben angeht und vor Energie strotzt. So auch der Gast unserer Podcast-Staffel-Finales: Wo andere morgens einen Kaffee trinken, ist Patrick Wagner als Kind in einen Topf voller Kola gefallen. Aus dem Nichts gründete er mit Mitte 20 das angesagteste Indielabel Berlins und bekam außerdem mit seiner Band Surrogat einen Major-Deal. Nach dem kometenhaften Aufstieg folgte ein dementsprechender Fall. Im Podcast erzählt er, wie er es schafft, heute seine unbändige Energie besser zu kanalisieren, und natürlich die eine oder andere Geschichte aus dem Musikbusiness-Nähkästchen.
Patrick Wagner – von Realität und Größenwahn
In einer Welt wie ein Instagramfilter, in der trotz all der Tragödien in erster Linie Geschichten des Erfolgs erzählt werden, braucht es ab und zu einen Patrick Wagner. Da braucht es jemanden, dessen Sein so schön unbeugsam ist und dessen Aufstieg ebenso imposant ist wie der darauffolgende Abstieg. Jemand, der nach all den Jahren nicht sagt, es sei vielleicht etwas schiefgegangen, sondern das Kind beim Namen nennt: Fuck Up.
Das Leben ist ein Roulette-Spiel
Patrick Wagner war schon als Kind ein streitbarer Typ. Das mag am Desinteresse seines Vater liegen oder an seinen Massen an Energie, die heutige Pädagogen vermutlich sofort als ADHS diagnostizieren würden, und die in der Zeit, in der Patrick aufwuchs, von Eltern und Lehrern schlichtweg als Zappelphilipp abgetan wurde. Um das Kind müde zu bekommen und Ruhe zu haben, meldete sein Vater ihn gleich bei sechs Sportvereinen an. Doch einen ganzen Charakter an einer solchen Energie festzumachen wäre zu einfach, zu simpel gedacht und würde gerade einem Menschen wie Patrick Wagner nicht gerecht werden. Zwar weiß er heute besser mit seiner Energie umzugehen, trotzdem hat er eine andere, sehr präsente Eigenart aus Kindheitstagen mitgenommen. Im Podcast erzählt er, wie er als Jugendlicher ziemlich klein war und dies mit Mut und der – bis heute anhaltenden – großen Schnauze überspielt hat. Wenn es zu harmlosen Rangeleien kam, sah der spätere Labelchef von Kitty-Yo nur einen Weg, sich zu beweisen – mit der Faust ins Gesicht. Was nach überzogener Gewalt klingt, stellt einen Wesenszug von Patrick Wagner da, der nichts mit Gewalt zu tun hat. Es ist eher die intrinsische Angewohnheit, alles auf eine Zahl zu setzen. Beim Roulette nennt sich das Straight. Hohe Quote, hohes Risiko. Alles oder nichts. Sei es der Typ in der Schule oder der spätere Major-Deal für seine Band Surrogat sowie das Ausspielen von Universal und Sony in Bezug auf sein eigenes Label Kitty-Yo. Das alles klingt draufgängerisch oder – wie es Patrick später ausgelegt werden sollte – größenwahnsinnig, war aber stets durchdacht und realistisch. Kitty-Yo war groß, hatte Künstler wie Peaches unter Vertrag und lehnte Anfragen von Mia und Wir sind Helden ab, weil sie nicht seinem Style entsprachen. Die Angebote der Big Player lagen auf dem Tisch. Keine Spur von Größenwahn, lediglich Kalkül und Rückgrat.
Der kometenhafte Abstieg
Doch wer hoch spielt, kann auch viel verlieren. In der heißen Label- und Bandphase arbeitete Wagner so viel, dass er einen epileptischen Anfall erlitt. Später zog er sich aufgrund von Meinungsverschiedenheiten aus Kitty-Yo zurück, landete für ein Jahr bei Universal, in einer Welt, die er glücklich war, wieder zu verlassen. Surrogat löste sich ebenfalls auf, da das Engagement der Mitglieder gegen Ende immer mehr zu wünschen übrig ließ. Hohe Quote, hohes Risiko. Nach dem Ende seiner glorreichen Ära gründete Patrick, der mittlerweile Vater war, das nach seinem Sohn benannte Familienlabel Louisville. Dort erschienen Bands wie Jeans Team, die auch schon bei TV Noir zu Gast waren, Kissogram, Puppetmastaz, Naked Lunch und Navel. Doch auch dieses Label ging insolvent. Im Podcast erzählt Wagner davon, wie es bei Kitty-Yo zu laut und dann bei Louisville zu leise war, um langfristig Erfolg zu haben. Außerdem erzählt er, wie er nach all dem, nach den Niederlagen und Rückschritten, fünf Jahre in ein Loch fiel. Bei seinem Format Fuckup Nights schöpft er aus diesen Erfahrungen, aus seiner Kompetenz der Niederlagen, und gibt Menschen eine Bühne, um ihre Geschichten von beruflichen Niederlagen zu erzählen. Nebenbei entwickelte er ein System des Fußballtrainings für Kinder und Jugendliche, was all dem widerspricht, nach dem er seine eigene Vergangenheit gestaltet hat. Patrick Wagner ist ruhiger geworden, heute weiß er seine Energie zu katalysieren. Auch seine aktuelle Band Gewalt ist nicht auf den großen Deal aus, sondern spielt, wenn sie gebeten wird und wenn nicht, dann eben nicht. Es ist also nicht einfach, einen Patrick Wagner zu greifen. Ihn als Großkotz abzutun, ihn auf den Satz aus Surrogat-Zeiten „Größer als Gott“ festzunageln, ist zu einfach. Vieles, was ihm hinterher gesagt wird, ist zugleich wahr als auch falsch – am Ende ist er alles ein bisschen: 90er Aushängeschild Berlins, Schöpfer der Fuckup Nights, Spieler und Dealer, von den Medien gehassliebte Derwisch, Fußballtrainer seines Sohns – aber vor allem ein wirklich besonderer und kostbarer Mensch, bei dem hinter allem Chaos und allem Irrsinn die Liebe zum Machen, zum Besonderen, und zur Kunst steckt.
Hört Euch hier die weiteren Folgen von “Wache Menschen” an: tvnoir.de/podcast.